8.5.2020

Yoga abseits der Matte

Das Leben (und Corona) als Übungsfeld

Geht es euch auch so wie mir? Ich erlebe in diesen Tagen ein Auf und Ab wie selten zuvor. Jeden Tag neue Situationen, neue Herausforderungen, neue Chancen, neue Gefühle. Von Wut zur Trauer, von Freude zum Frust, von Erleichterung zur Bedrücktheit und wieder zurück. Manchmal im Stundentakt…

Die Ungewissheit, wie es weitergehen wird, die Unplanbarkeit der nächsten Monate, die in aller Welt kursierende Angst, die Not und Verzweiflung vieler Menschen, die existenzbedrohende wirtschaftliche Situation… Tausende Einzelschicksale, die auf so unterschiedlichste Art und Weise von der Corona-Pandemie betroffen sind!
Das alles macht mich müde, raubt mir Energie und oft auch die Hoffnung.

Letztlich ist alles ein riesengroßes Übungsfeld.

Yoga ist viel mehr als unsere Praxis auf der Matte. Mehr als Körperhaltungen und Meditation. Yoga ist eine Haltung, eine bestimmte Lebensführung. Und ein lebenslanges Üben - im Moment mit besonders vielfältigen Übungsfeldern:

Eine Übung in Achtsamkeit: Was geschieht gerade? Mit mir, mit der Welt? Wie nehme ich das wahr und wie reagiere ich?

Eine Übung in Mitgefühl: Für das, was um uns herum geschieht; für die Bedürfnisse und Nöte von Mitmenschen und Entscheidungsträgern; für die eigenen Gefühle und Ängste.

Eine Übung im Nicht-Wissen: Im Zulassen, nicht die Wahrheit zu kennen; nicht zu wissen, welche der unterschiedlichen Fachmeinungen richtig ist; nicht zu wissen, welche Maßnahmen und Einschränkungen wirklich (noch) nötig sind.

Eine Übung in Annahme und Hingabe: Das, was ist, anzunehmen, ohne zu werten; ohne zu verurteilen und ohne in den Widerstand zu gehen; zu akzeptieren, dass ich jetzt manche Dinge anders machen muss als ich es gerne möchte.

Eine Übung im Vertrauen: Dass alles irgendwann wieder gut wird; dass wir Menschen vernünftig genug sind, um aus dieser Krise zu lernen; dass wir umdenken und unser Verhalten ändern können, wenn wir es wirklich wollen.

Eine Übung im Engagement: Zu spüren und wahrzunehmen, wo meine Hilfe gefragt ist, mein Zuhören, mein Anpacken; wo ich einen Beitrag leisten kann.

Eine Übung in Reflexion und offenem Geist: Immer wieder die Informationen, die ich erhalte, zu reflektieren; meine eigene Meinung zu bilden und dennoch auch andere Meinungen stehen zu lassen; nicht recht haben zu wollen, sondern mit weichem Herzen zuzulassen, dass andere anders denken und (re)agieren.

Eine Übung in liebevoller Zuwendung: mir selbst und den Menschen um mich herum; den Einsamen und Verängstigten; jenen, die (am meisten) unter der Situation leiden; denen, die jetzt viel Last tragen müssen; und letztlich mir selbst.

In diesem Sinne übe ich weiter, Tag für Tag, Stunde für Stunde.
Nicht immer gelingt mir die Übung. Manchmal möchte ich am liebsten alles hinschmeißen. Mich verstecken, irgendwo verkriechen und erst wiederkommen, wenn alles vorbei ist. Und dann wieder fühl ich mich stark. Und mutig. Und bereit für alles, was kommt.

Auch das ist Yoga. Zu akzeptieren, dass jeder Tag anders ist. Dass die Stürme des Lebens uns manchmal ganz schön heftig herumwirbeln. Aber auch zu wissen, dass es bei all dem einen Ort gibt, der beständig ist und bleibt. Der immer da ist. Einen inneren Rückzugsort, eine ganz persönliche „Höhle“, tief in meinem Inneren.

Hier ist Frieden. Hier darf ich jederzeit ausruhen.
Um dann weiterzugehen, hinein ins nächste Abenteuer. Ins Abenteuer Leben – mit und ohne Corona.